Matti Karstedt: Darf’s noch a bisserl Staat sein?

Darf’s noch a bisserl Staat sein?

Für das Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen habe ich folgenden Gastbeitrag verfasst. Er wurde in der Ausgabe 02/2020 veröffentlicht.

 

Darf’s noch a bisserl Staat sein?

Size matters. Auch in der Krise.

Corona zeigt uns, da sind sich insbesondere linke Kommentatoren einig, dass ein Staat auf gar keinen Fall schlank sein darf. Denn ein schlanker Staat, so die bestechende Logik, kann in Krisen auch nur schlank helfen. Ein großer Staat hingegen kann groß helfen. Klar. Und ein Zitronenfalter faltet Zitronen.

Jeder von uns durfte in den vergangenen Tagen und Wochen regelmäßig in den unterschiedlichsten Medien lesen, dass uns die aktuelle Krise das Versagen des Kapitalismus vor Augen führt. Und da sich die klugen Köpfe aus Politik, Kunst und Gesellschaft in der Regel auf den Status Quo in unserem Land beziehen, ist hier mit „Kapitalismus“ wohl die soziale Marktwirtschaft gemeint. Krankenhäuser wären demnach deutlich besser aufgestellt, hätten die bösen Neoliberalen nicht die Knechtschaft der Profitorientierung eingeführt. Und überhaupt, das mit den Privatisierungen stelle sich jetzt als großer Fehler heraus.

Dabei dürfte schon ein flüchtiger Blick nach Italien die Erkenntnis zutage fördern, dass auch ein staatliches, steuerfinanziertes Gesundheitswesen im Angesicht einer globalen Pandemie schnell an seine Leistungsgrenzen kommt. Und dass deutsche Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft wesentlich besser auf die Coronakrise vorbereitet gewesen sein sollen als die privaten, das darf doch zurecht bezweifelt werden. Nüchterne Erkenntnisse spielen in diesen Debatten aber leider immer seltener eine Rolle. Dabei könnten sie helfen, die existierenden Dramatisierungen zu erschweren und revolutionäre Narrative kaputt zu machen.

Sounds good, doesn’t work.

Es entsteht der Eindruck, den Akteuren ginge es gar nicht darum, konkrete Verbesserungen in einem bestimmten Bereich anzustoßen, sondern eher darum, immer wieder verklausulierte Systemkritik in den Raum zu werfen. Irgendwas wird schon hängen bleiben. Da ist das kurzzeitig leere Nudelregal ein genauso willkommener Aufhänger wie die vermeintlich überteuerte Behelfsmaske. So soll auch dem letzten Liberalen klar gemacht werden: Die Wirtschaft versagt, das Individuum versagt, jetzt muss endlich der starke Staat ran!

Dabei wird völlig verkannt, dass auch der Staat fehlbar ist. Denn selbst wenn der Markt ein Problem vermeintlich nur unbefriedigend löst, heißt das noch lange nicht, dass der Staat es automatisch gleich gut oder besser kann. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik sollte klar sein, dass jede zentral von oben gesteuerte Maßnahme immer mit einem Informationsdefizit einhergeht und allenfalls wirkungsverzögert greifen kann.

Es ist im Übrigen auch nicht ein Mehr an Staat, das gerade den Bürgerinnen und Bürgern die wirtschaftliche Existenz sichert, sondern ausgerechnet ein Weniger. Wenn bürokratische Pflichten erlassen und Steuerschulden gestundet werden, dann macht der Staat damit kein Geschenk – er verlangt und nimmt nur eben etwas weniger und später, als er es normalerweise tun würde. Und das auch nur als Gegenleistung für den ultimativen staatlichen Eingriff, der für viele Menschen einem temporären Berufsverbot gleichkommt. Das in diesem Zusammenhang ausgezahlte Kurzarbeitergeld ist dementsprechend auch keine milde Wohltat, sondern eine notwendige Entschädigung für notwendige staatliche Maßnahmen.

Ein schlanker Staat bedeutet nicht Anarchie

Als Junge Liberale sind wir entgegen mancher Stereotype alles andere als eine libertäre Organisation. Unsere Beschlusslage sieht keinen Nullstaat vor, den Katastrophenschutz wollen wir nicht privatisieren und die zum Schutz der Bevölkerung getroffenen Maßnahmen lehnen wir auch nicht pauschal ab. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch in der Krise für einen möglichst schlanken Staat eintreten können und sollen. Ein schlanker Staat ist schließlich kein Staat, der sich in allen Fragen einen schlanken Fuß macht – sondern ein Staat, der in seinen Kernaufgaben stark ist und den Rest einfach denen überlässt, die es besser können.

Werden wir also nicht müde zu betonen, dass diese Krise kein geeigneter Anlass ist, um die seit jeher gescheiterten Alternativmodelle zur sozialen Marktwirtschaft auszuprobieren. Unsere Freiheiten, unser Wohlstand, unsere Innovationskraft und unsere offene Gesellschaft sind es nicht wert, so leichtfertig riskiert zu werden.

 


31. Mai 2020

zurück