Matti Karstedt: Wie uns die Geringschätzung von Bürgerrechten angreifbar macht

Wie uns die Geringschätzung von Bürgerrechten angreifbar macht

Für das Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen habe ich folgenden Gastbeitrag verfasst. Er wurde in der Ausgabe 02/2021 veröffentlicht.

Denn sie wissen nicht, was sie tun

»Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der auch im digitalen Zeitalter sehen und hören kann« sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer, und begründet damit die Notwendigkeit für die volle Klaviatur des Überwachungsstaates. Dass seine Sheriff-Mentalität aber nicht nur Bürgerrechte mit Füßen tritt, sondern auch gleich die innere Sicherheit unseres Landes – und für die CSU viel schlimmer: die HEIMAT – gefährdet, merkt er nicht. Wie auch? In der jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit uns Liberalen haben manche Konservative eine gewisse Immunität gegen bürgerrechtlich motivierte Einwände entwickelt. Es ist daher an der Zeit für einen Perspektivwechsel – und für neue Argumente in alten Debatten.

Für digitale Hintertüren gibt’s kein Flatterband

Es ist noch gar nicht so lange her, da flogen neue Polizeigesetze plötzlich wie Schneebälle durch die Republik. Fast immer mit von der Partie: Online-Durchsuchung und Staatstrojaner. Ihr Prinzip ist so simpel wie gefährlich: Der Staat nutzt Sicherheitslücken in Betriebssystemen, Programmen und Apps aus, um Zugriff auf die Computer und Smartphones von ganz bösen Menschen zu erhalten. In der Theorie trifft das selbstverständlich nur und ausschließlich Vergewaltiger, Mörder und Kinderschänder, in der Praxis aber leider auch gerne mal die Ex-Freundin oder eine besonders kritische Journalistin. Aber das wäre ja ein Bürgerrechts-Argument, also schnell weg damit.

Viel gewichtiger ist ohnehin der sicherheitspolitische Preis, den wir alle dafür zahlen müssen, einige wenige überwachen zu können: Eine angreifbare IT-Infrastruktur. Denn wenn der Staat Sicherheitslücken in Smartphones und Computern nutzen will, muss er ebendiese Sicherheitslücken finden, sie neu schaffen – oder bestehende Sicherheitslücken bewusst offenhalten. Während man früher versuchte, IT-Sicherheit herzustellen und Hackern das Leben schwer zu machen, wird man für Staatstrojaner und Online-Durchsuchung versuchen müssen, Unsicherheit um jeden Preis auch in die letzte Hosentasche zu prügeln.

But The Law Says You Cannot Hack!

Aber mit einer unsicheren und anfälligen IT-Infrastruktur kann man doch leben, wenn man nichts zu verbergen hat und dem Staat vertraut, oder? Die Sicherheitslücken dürften zudem nur mit Richtervorbehalt genutzt werden – und die Polizei würde selbstverständlich nie auf die Idee kommen, die ihnen anvertrauten Rechte zu missbrauchen. Warum also schon wieder dieses Generve von Liberalen? Nun, wie soll man sagen: Hacker interessieren sich nicht für euren Richtervorbehalt. It’s that simple. Jede Sicherheitslücke, die BND, BKA, LKA, Verfassungsschutz und der Revierpolizist von Groß Kreutz (Havel) nutzen können, kann potentiell auch jedes Script-Kiddie aus dem Grundkurs Informatik nutzen. Oder hat man schon vergessen, dass ein 20 jähriger erst vor drei Jahren private Daten von gut 1.000 politisch aktiven Menschen aus geknackten E-Mail-, Social-Media- und Cloud-Accounts geleakt hat? Und das sogar ganz ohne richterliche Genehmigung. Aber kein Grund zur Panik: Bestimmt sind ausländische Geheimdienste da verantwortungsvoller.

Bürgerrechte: Kein Hippie-Zeug, sondern knallharte Sicherheitspolitik.

Seit Jahrzehnten müssen wir als Liberale um jeden Zentimeter digitale Souveränität ringen – gegen Konservative und Sozialdemokraten gleichermaßen. Die Innenpolitikerinnen und -politiker anderer Parteien präsentieren sich gerne als Law-and-Order-Sheriffs. Im Superwahljahr 2021 ist es daher unsere vorderste Aufgabe, sie als das zu enttarnen, was sie in Wirklichkeit sind: Die größten Schwachstellen unserer sicherheitsrelevanten Infrastruktur. Lasst uns nicht müde werden und weiter für Bürgerrechte und gegen pauschale Massenüberwachung kämpfen! Es geht um nicht weniger als die Sicherheit unserer Gesellschaft – und die Integrität unserer Demokratie.


5. Juni 2021

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