Matti Karstedt: Unsere Demokratie wird auch auf Tik Tok verteidigt

Unsere Demokratie wird auch auf Tik Tok verteidigt

Für die Debattenarena im Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen habe ich folgenden Meinungsbeitrag verfasst. Er wurde in der Ausgabe 02/2020 veröffentlicht – dort könnt ihr auch die Gegenposition »Memes, Cringe und Fun – aber keine Politik« lesen.

 

Tik Tok und Politik

Einen Boykott werden wir bitter bereuen

Die Reichweiten, die einzelne JuLis in kürzester Zeit auf TikTok aufgebaut haben, können sich sehen lassen: Da werden mit nur fünf Beiträgen mal eben über 50.000 Likes generiert, oder auch mit einem Video locker 70.000 Views erreicht. Die sieben Likes für das letzte Facebook-Gruppenbild Deines Kreisverbands wirken dagegen dann schon irgendwie mickrig. Und das, obwohl der Vorsitzende sogar mit Herz-Emoji reagiert hat.

Natürlich dürfen wir für keine Reichweite der Welt verschweigen, dass TikTok der Kontrolle eines Regimes unterliegt, das Menschenrechte mit Füßen tritt. Doch was genau bessert sich für die Menschenrechte eigentlich, wenn Freiheitsultras wie wir nur noch selektiv für sie plädieren wollen? Gewähren wir ihren Feinden damit nicht sogar einen kommunikativen Wettbewerbsvorteil? Zumal viele der Argumente für den Boykott längst veraltet sind – der Markt hat geregelt, die Plattform wurde liberaler. Heute wird auf TikTok kein LGBT*- Content mehr zensiert, sondern tausenden Jugendlichen die Angst vorm Coming Out genommen. TikTok, das versichere ich euch aus eigener Erfahrung, ist schwuler als jede BuKo-Party. Selbiges gilt für Body Positivity und den Umgang mit körperlichen Behinderungen.

Wer heute Wahlkampf und politische Kommunikation ohne TikTok macht, der hätte das früher vermutlich auch ohne Privatfernsehen versucht. Nicht umsonst haben der saarländische Ministerpräsident, die NEOS, die Tagesschau oder auch das Bundesministerium für Gesundheit die Plattform längst in ihre Kommunikationsstrategien aufgenommen. Unser Verband hingegen feiert sich dafür, dass er keinen Dialog mit den 5,5 Millionen jungen Deutschen auf TikTok will. Der pensionierte Oberstudienrat, der einen JuLi-Gastbeitrag in der WELT liest, scheint uns wichtiger zu sein. Ich sage: Ein Jugendverband, der sich in hochtrabenden Statements dafür abfeiert, Massenmedien der deutschen Jugend zu boykottieren, der will keine Schulhöfe erreichen, sondern Parteitagsdelegierte. Meinetwegen. Aber dann sollten wir konsequenterweise auch aufhören so zu tun, als wäre es uns ein Herzensanliegen, in die deutsche Jugend zu wirken. Die ist nämlich nachweisbar genau dort, wo wir offenbar gar nicht hinwollen.


31. Mai 2020

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