Matti Karstedt: Bist du intelligent? Mein Gastbeitrag im j+l

Bist du intelligent? Mein Gastbeitrag im j+l

Für das Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen verfasste ich den folgenden Beitrag zur deutschen Bildungspolitik. Die gesamte Ausgabe findet ihr online: J+L 03/2016.

Bist du intelligent?

Nein, ernsthaft. Leg den scheiß Artikel weg, und sag mir sofort, ob Du
Dich selbst als intelligent bezeichnen würdest. Das ist schließlich eine
klare Ja-oder-Nein-Frage; hast Du denn in der Schule gar nicht aufgepasst?
Frage > Antwort > fertig. Also?

Nun, um ehrlich zu sein: Ich wüsste nicht, was ich auf diese Frage antworten sollte. Vielleicht könnte ich mich als intelligent bezeichnen, wenn ich geklärt hätte, was Intelligenz für mich bedeutet. Aber gelten diese Maßstäbe dann auch für Dich? Ehrlich gesagt bezweifle ich das. Nennt mich Hippie (oder neudeutsch: Gutmensch), aber wir brauchen eine Debatte über Diversität im Bildungswesen. Die Frage der Intelligenz ist wie die Frage der Bildung nicht mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten.

Natürlich ist mir klar, dass Bildung nicht das gleiche wie Intelligenz ist. Ein Bildungssystem hat nicht die Aufgabe, Menschen klug zu machen, sondern Menschen zu bilden. Ihr Wissen zu erweitern. Die Fähigkeit, dieses Wissen anzuwenden, zu verknüpfen, damit zu arbeiten, das ist dann die Intelligenz. Aber wie kann ein Bildungssystem funktionieren, wenn es die Talente und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, also ihre ganz eigene und individuelle Intelligenz, vollkommen außer Acht lässt? Viele, viele Kinder treffen auch in diesem Jahr wieder auf ein einziges Schema, in das sie alle passen sollen. Das kann nicht funktionieren.

Und nein, liebe bildungspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktionen, ich meine damit nicht die Frage danach, ob ein Bildungssystem mehrgliedrig sein soll oder eben nicht. Als JuLi ist man da noch mutiger. Oder naiver. Ich meine etwas viel Grundsätzlicheres: Wie bewerten wir Kinder und ihre Leistungen?

Derzeit läuft es doch so: Wir haben eine Skala. Unten sind die Dummen, oben die Klugen. Jeder will nach oben. Bist Du unten, hast Du verkackt. Bist Du oben, steht Dir alles offen. Die Folge: Jedes Kind versucht, im „Spiel Schule“ so gut zu werden, dass es letztlich zu den oberen vierzig Prozent der Skala gehört, ein Abitur bekommt und studieren darf.

Eine Ausbildung ist verpönt

Wer noch vor zwanzig Jahren seine Erfüllung im Handwerk gefunden hat, studiert nun Neogräzistik – also gelernte Arbeitslosigkeit. Hauptsache studiert. Denn das passiert, wenn wir ein „Oben“ und ein „Unten“ haben. Man will oben sein. Egal, wie sinnvoll das ist.

Wisst ihr was? Wir sollten die Skala wegwerfen. Lasst uns das Ding doch durch ein Spektrum ersetzen. Denn wer mit den Leistungskursen Kunst, Musik, und Sport (wie es vor einiger Zeit in Brandenburg noch möglich war) einen Singen-Tanzen-Klatschen-Abi-Schnitt von 1,0 geschafft hat, und damit zu „denen da oben“ gehört, der ist noch lange nicht für einen MINT-Studiengang prädestiniert. Es wird Zeit, dieses System, das sich in seinen Grundzügen seit der Industrialisierung nicht mehr verändert hat, auf den Kopf zu stellen. Reformen können wir uns nicht mehr leisten. Wir müssen Bildung neu denken. Und unser Mindset ist ein guter Punkt, damit anzufangen

Wer sich heute bewusst für eine bestimmte Ausbildung entscheidet, statt notgedrungen den zwölftbesten DoSV-Studiengang anzunehmen, der lebt das, wovon wir immer schwafeln: German Mut. Und er verdient dafür volle gesellschaftliche Anerkennung. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung haben übrigens die JuLis aus Niedersachsen vorgelegt, indem sie fordern, dass Azubis ein Äquivalent zum Semesterticket gegeben wird.

Das Problem

Ähnliche programmatische Debatten und Vorstöße haben in der Vergangenheit leider immer wieder Empörung im Bundesfachausschuss für Facebook-Gruppen und Tastenwichser hervorgerufen. Die hieb- und stichfesten Argumente reichen von „Wen wollen wir denn damit gewinnen?“ bis zum obligatorischen „Uns wählen nun einmal männliche Akademiker!“. Machste nix. Taktierer. Taktierer everywhere. Überzeugungen? Pustekuchen.

Ulf Poschardt attestierte der FDP kürzlich, ihr würde es an Denkern fehlen. Ich behaupte felsenfest das Gegenteil: Wir haben zu viele. Das Boot ist voll. Uns fehlen Macher. Einer der Gründe: Unsere bildungspolitische Programmatik ist nicht im Ansatz interessant für sie. Ein selbstständiger Handwerker mag es begrüßen, dass wir die elendige IHK-Pflichtmitgliedschaft abschaffen wollen, und ihm die Steuererklärung vereinfachen möchten. Aber das, was ihm wirklich an die Existenz geht, das ignorieren wir vollständig.

Nachwuchsprobleme im Handwerk

Gerade in den strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland, also in Ostdeutschland, schließt ein traditionsreicher Familienbetrieb nach dem anderen. Nicht, weil sie nicht profitabel wirtschaften können, sondern einfach, weil sich niemand findet, der diese weiterführen möchte.

Und wer kann es den jungen Menschen übelnehmen? Wachsen sie doch in einem Bildungssystem auf, dass ihnen Unternehmergeist eher abtrainiert und Sicherheit und Risikofreiheit als das non-plus-ultra des Berufslebens verkauft. In der schulischen Bildung ist es wichtig zu kommunizieren, dass ein Studium eben nicht garantiert, dass man einen Beruf findet und dass so mancher Ausbildungsberuf eben auch schlicht und ergreifend besser bezahlt und häufiger nachgefragt ist als das eine oder andere Studium.

Sehr erfolgreiche Unternehmer aus unserer Zeit haben alle möglichen Hintergründe, und waren insbesondere deshalb so gut in dem, was sie taten, weil sie es nicht alleine gemacht haben. Steve Jobs hat nicht den Vertrieb organisiert, und Ralf Dümmel hat keine Produkte entwickelt. Wir müssen aufhören so zu tun, als könne man Unternehmertum studieren. Unternehmer sind alle möglichen Menschen, die ihre jeweilige Expertise in ein Produkt oder eine Dienstleistung gießen. Die Betriebswirtschaftler gehören sicher dazu, aber sie sind eben nicht alleine. Die Vielfalt macht den Erfolg.

Also: Lasst uns einfach mal den Mut haben, an unsere eigenen Phrasen zu glauben, und damit im wahrsten Sinne des Wortes „Schule machen“.


12. Dezember 2016

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